Kosmologie: Quantentrick schafft Urknall-Singularität ab
Seit Kosmologen in den 1960er Jahren die ersten Spuren des Urknalls nachwiesen, scheint es, als wäre das Universum einem einzigen, unendlich dichten Punkt entsprungen, einer so genannten Singularität. Sollten jedoch die beiden theoretischen Physiker Ahmed Farag Ali und Saurya Das mit ihrem neuen Ansatz richtigliegen, den sie im Fachjournal "Physics Letters B" veröffentlichten, dann gab es diese Singularität nie. Das All hätte schon immer existiert – zumindest in Form einer winzigen, quantenmechanischen Keimzelle.
In ihrer Arbeit mit dem Titel "Cosmology from quantum potential" verwenden der Ägypter und sein indischer Kollege, der in Kanada an der University of Lethbridge lehrt, die so genannte Raychaudhuri-Gleichung. Sie beschreibt, wie sich die Bestandteile des Kosmos bewegen. Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten bezeichnet man als Geodäte. Wenn Licht und Teilchen durch das All reisen, sind diese Geodäten gekrümmt – eine Folge der allgemeinen Relativitätstheorie. Verfolgt man diese Bahnen zurück bis zum Urknall, kommt es zur Singularität. Das folgerten die Physiker Stephen Hawking und Roger Penrose bereits Ende der 1960er Jahre aus Einsteins Gleichungen. Seitdem versuchen Kosmologen, diese Situation mit neuen Theorien und mathematischen Tricks loszuwerden. So unvorstellbar die Lage rund um den Urknall ist, sollten zumindest rechnerisch keine unendlich großen und somit unphysikalischen Werte auftreten. Doch gerade das ist bei einer Singularität der Fall.
Ali und Das skizzieren, was passiert, wenn man dieses Bild mit quantenmechanischen Gleichungen ergänzt. Es handelt sich bei ihrer Idee allerdings nicht um eine lange gesuchte Theorie der Quantengravitation, die Relativitäts- und Quantentheorie insgesamt vereinen würde. Vielmehr korrigieren die beiden Forscher die klassischen Geodäten mit quantenphysikalischen Annahmen. Sie greifen dabei auf eine in der Physikergemeinde eher randständige, alternative Theorie des US-Quantenphysikers David Bohm zurück.
So erhalten Ali und Das eine Interpretation vom frühen Universum, in der sich die Geodäten, nunmehr Quantengeodäten, niemals schneiden. Wenn sie sich aber nicht berühren, bedeutet das zugleich, dass es keinen Punkt gab, an dem das All entstanden sein könnte. Es hätte somit schon immer existiert und sich irgendwann plötzlich rasch ausgedehnt. Danach geschah all das, was Kosmologen heute im allgemein akzeptierten Urknallmodell zusammenfassen. Ali und Das schaffen also nicht den Urknall ab, wohl aber die unbequeme Singularität am Anfang.
Die beiden Physiker behaupten darüber hinaus, ihre Idee liefere möglicherweise auch eine Erklärung für die rätselhafte Dunkle Energie, die unser All auseinandertreibt. So schreiben sie in ihrer Veröffentlichung, dass die quantenmechanischen Korrekturterme gerade so ausgelegt werden könnten, dass sie genau für die heute beobachteten Effekte verantwortlich wären. Auch würden ihre Gleichungen eine geringe Masse für das so genannte Graviton vorhersagen, das hypothetische Teilchen, das die Gravitationskraft vermitteln könnte.
Laut einer weiteren Arbeit, die Das mit einem kanadischen Kollegen verfasste und vorab auf "arXiv.org" veröffentlichte, hätten sehr massearme Gravitonen oder ähnliche leichte Teilchen im frühen Universum ein so genanntes Bose-Einstein-Kondensat geformt. Dieser quantenmechanische Zustand wäre wiederum ein Kandidat für Dunkle Materie. Liefern die Veröffentlichungen also eine mögliche Ursache für gleich zwei der größten kosmologischen Rätsel?
Andere Physiker sind erst einmal skeptisch. So äußerte der Heidelberger Kosmologe Matthias Bartelmann gegenüber "Spektrum.de" Bedenken. Er bezweifelt, dass man die Raychaudhuri-Gleichung derart modifizieren könne, ohne zugleich beobachtbare Phänomene zu verändern, die aus dieser Gleichung in ihrer ursprünglichen Form folgten – beispielsweise Gravitationslinseneffekte. "Ich würde wenig darauf geben", so Bartelmann.
Auch der US-Astrophysiker Brian Koberlein rät auf seiner Homepage, erst einmal abzuwarten. Das Modell sei interessant, aber sehr einfach gestrickt und vorerst "nicht mehr als ein erster Versuch, die Machbarkeit zu zeigen". Und auch die Idee, die Singularität des Urknalls abzuschaffen und durch ein unendlich altes All zu ersetzen, sei nicht neu und bereits Teil vieler alternativer Modelle zur kosmischen Inflation.
Die Forschergemeinschaft muss also erst noch klären, ob aus der Idee auch Vorhersagen folgen, mit denen der Ansatz untermauert oder auch widerlegt werden könnte. So lange bleibt fraglich, ob wir uns damit tatsächlich einem besseren Verständnis des Kosmos nähern.
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